Heute spreche ich mit Vivianne von Conscious Creatives über ihren Weg und ihr fabelhaftes Strick-Retreat nach Italien, wo es mir in den Fingern juckt, mir direkt einen der wenigen Plätze zu sichern. Vivianne gehört, wie so viele von uns heutzutage, zu den Multipotentials. Da Coaches aber auch heute noch dazu raten, sich endlich mal zu fokussieren, um Fuß im Berufsleben zu fassen, muss man eben sein eigenes Ding machen. So gründete Vivianne Conscious Creatives und erzählt heute, wie sie ihren Weg gefunden hat und noch ein bisschen mehr über die einwöchige Strick-Auszeit in den Bergen. Sie hat auf ihrem Weg dem Bedürfnis nachgegeben, nachhaltiger zu leben, für sich und unseren Planeten. Wie wunderbar, oder?
Auf deiner Website Conscious Creatives findet man dein vielseitiges Angebot von Singen, über programmieren, bishin zum Stricken – wie kam es zu dieser Kombination?
Tja, da war wohl das Leben am Werk. Als kleines Mädchen schon, wusste ich, dass ich eine ganz berühmte Sängerin werden möchte. Mein Vorbild damals war Mariah Carey – lach – da sollten wir nicht tiefer drüber reden. Ich verfolgte dann auch straight meinen Plan und hab nach zwei unglücklichen Jahren in der Lehre zur Versicherungskauffrau (meine Mutter meinte, ich solle erst etwas „vernünftiges“ lernen) die Aufnahmeprüfung an einer Hamburger Musicalschule bestanden. Ich brach die Lehre ab und zog von der Schweiz nach Deutschland, um fortan meiner Leidenschaft nachzugehen.
„Ich spürte immer mehr wie wertlos die die Darsteller behandelt werden. Das konnte ich irgendwann nicht mehr.
Der erste Dämpfer kam nach dem ersten Ausbildungsjahr. Das Schulkonzept an dieser Schule sah vor, dass nur die Hälfte der Schüler im ersten Jahrgang in das zweite Jahr weitergehen konnten. Und mich hat es dabei erwischt, ich musste gehen. Völlig verzweifelt darüber, dass ich zurück in die Schweiz musste (weil ohne Ausbildungsvertrag keine Aufenthaltsgenehmigung) habe ich mich wie verrückt umgeschaut, um noch eine Alternative zu finden. Ich wollte meinen Traum nicht aufgeben. Ein Jahr zuvor hatte die Stella Academy eröffnet, die interne Fortbildungsakademie der Stella AG – der Vorgänger der Stage Entertainment. Obwohl ich gerade mal ein Schuljahr hinter mir hatte, habe ich mich trotzdem dort beworben. Und tada – es hat geklappt! So konnte ich meine Ausbildung an einer unglaublich hochwertigen Schule beenden.
Danach bin ich direkt bei Tanz der Vampire in Stuttgart ins erste Engagement gekommen, habe mit einem Orchestermusiker angebandelt und wurde ungeplant schwanger. Obwohl das alles andere als leicht war, habe ich mit Kind weitere 5 Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Was sollte ich auch anderes tun?
Allerdings hat die Beziehung unter den vielen Umzügen zu den jeweiligen Engagements gelitten und meine Freude an dem Beruf immer mehr getrübt. Dazu kam, dass ich mehr und mehr spürte, wie wertlos die Darsteller behandelt werden. Das konnte ich irgendwann nicht mehr. Ich hatte ein „Ablehnungstrauma“. Zu diesem Zeitpunkt habe ich über mehrere Wochen hinweg eine psychologische Kinesiologin aufgesucht, die mir unglaublich gut geholfen hat, mein Leben in die Hand zu nehmen und zu überlegen, wie es weitergehen soll. Diese Arbeit hat mich von Anfang an mächtig beeindruckt und ich wollte das auch lernen.
So stand der Entschluss schnell fest, diese Ausbildung zu absolvieren und diesen Beruf anzustreben.
Ich bin nur so durch diese Ausbildungs-Module gerast, denn ich hatte ein neues Talent entdeckt. Diese Arbeit lag mir sehr gut. Und direkt nach Abschluss machte ich mich damit selbständig und trennte mich vom Vater meines Sohnes.
„Über ein paar Empfehlungen baute ich mit dann meinen eigenen Kundenstamm auf.“
Aber es waren – zumindest vor 12 Jahren, als ich damit begann – nicht genug Menschen bereit, sich diese Privatleistung zu gönnen. Und so sah ich mich nach 2 Jahre gezwungen, mir wieder Gedanken über meine berufliche Zukunft zu machen. Da ich in meiner Zeit auf der Bühne begann, mir selbst meine Künstler-Website zu bauen und das Programmieren zu lernen; während der kinesiologischen Ausbildung in einer kleinen Agentur gejobbt und diese Fähigkeiten ausgebaut habe; stellte ich mir nun die Frage, ob ich damit vielleicht konstanter mein Geld verdienen könnte. Über ein paar Empfehlungen baute ich mir dann meinen eigenen Kundenstamm in diesem Bereich auf. Ich hatte nun also etwas gefunden, was mir relativ zuverlässig ein ständig steigendes Einkommen verschaffte. Denn durch die vielen Aufträge wuchsen auch meine Skills.
Mir fehlte jedoch das Singen und auch die Tätigkeit als Kinesiologin. Und so versuchte ich alle paar Jahre den Fokus wieder auf einen anderen der drei Berufe zu richten. Stürzte mich voll rein, war mega begeistert zu Beginn und nach einigen Monaten fehlten mir die anderen beiden wieder. Es war ein Teufelskreis. Und es machte mich wahnsinnig!
Nach meiner Krise im letzten Jahr, in dem irgendwie alles in mir auseinanderbrach, habe ich nach meiner Genesung erkannt, dass ich eben anders bin. Im April fand ich ein wunderschönes Wort dafür im Netz: Ich bin Multipotentialist. Und ich bin stolz drauf.
Jeder Coach, den ich aufgesucht habe, riet mir, mir zu überlegen, was mir am wichtigsten ist, und mich dann nur noch darauf zu fokussieren. Daran bin ich aber 15 Jahre lang gescheitert. Nach meiner Krise im letzten Jahr, in dem irgendwie alles in mir auseinanderbrach, habe ich nach meiner Genesung erkannt, dass ich eben anders bin. Im April fand ich ein wunderschönes Wort dafür im Netz: Ich bin Multipotentialist. Und ich bin stolz drauf.
„Ich bin 15 Jahre lang erfolgreich daran gescheitert mich auf eine Sache zu konzentrieren. Zum Glück muss man das als Multipotential gar nicht!“
Bisher hab ich mich dafür immer etwas geschämt, weil ich mich nicht in einer Sache zum Experten machen wollte. Sondern so vielseitig interessiert und talentiert bin. Und dazu zu stehen, ist das Schönste, was ich für mich entdecken durfte! Also habe ich im letzten halben Jahr alles in einen Pott geworfen und viele Male kräftig gerührt, um zu schauen, was passiert, wenn es mich nur noch in dieser Fülle gibt – und nicht mehr separiert.
Und ich bin sehr sehr glücklich mit dem aktuellen Ergebnis!
Minimalismus, Achtsamkeit, Hygge.. alles Begriffe die man häufig in den leichten Medien hört. Was hältst du davon? Ein Hype oder Zeitgeist?
„Für mich ist Achtsamkeit eine Lebenseinstellung.“
Für mich sind diese Themen eine Lebenseinstellung, eine Orientierung für meinen Alltag. Seit meinem 16. Lebensjahr beschäftige ich mich mit spritituellen Themen und bin dadurch schon sehr früh mit dem Thema Achtsamkeit in Kontakt gekommen. Das heisst nicht, dass ich schon Profi darin bin, nein. Aber sie ist immer wieder präsent in meinem Leben. Der Minimalismus allerdings kam erst durch die vielen Umzüge dazu und ist jetzt regelrecht Thema Nummer 1 für mich. Wobei ich auch glaube, dass je achtsamer wir werden, desto mehr stellen wir fest, wie wenig wir benötigen, um glücklich und zufrieden zu sein. Vor 10 Jahren konnten noch wenige Menschen etwas mit diesen Themen anfangen. Oder es wurde zumindest nicht so stark thematisiert wie heute. Genauso wie Yoga für manche ein Hype ist, auf den sie aufspringen und für andere wiederum eine Lebensart darstellt, glaube ich auch hier, dass es beides gibt.
Außerdem organisierst du Strick-Retreats nach Italien. Die sind auch gar nicht so günstig. Was macht sie besonders?
„Wir werden in einem 800 Jahre alten, aber renovierten Bauernhaus auf 1400 Metern Höhe wohnen, umgeben von Wiesen, Bergen und unglaublich guter Luft.“
Wir waren diesen Sommer drei Wochen mit dem Wohnmobil in Norwegen unterwegs. Vorallem, um den viel zu heissen Temperaturen in Deutschland zu entfliehen. Das hat zwar nicht wirklich gut geklappt, aber ich bin mit zwei Dingen in meinem Herzen zurückgekommen:
1. Dem Bedürfnis, mein Leben noch nachhaltiger zu gestalten, um noch weniger zu dem Verfall unseres Planeten beizutragen. Denn die hohen Temperaturen selbst in Norwegen, haben uns nochmal richtig klar aufgezeigt, dass jede Hilfe benötigt wird.
2. Alle meine Talente zu nutzen und etwas zu kreieren, was Menschen wieder mehr zusammenbringt und bewusst werden lässt. Denn durch ein echtes Miteinander können wir über uns hinauswachsen.
Aus diesen beiden Punkten ist unter anderem die Retreat Idee entstanden. Mein Konzept beinhaltet, kreative Tätigkeiten (wie stricken, malen, schreiben, u.v.m.) mit Nachhaltigkeit, Bewusstsein und Miteinander zu verbinden. Irgendwo in der puren Natur, mit gesundem Essen und etwas Bewegung. Die Gruppen werden bewusst klein gehalten, sodass es wirklich zu einem bereichernden gemeinsamen Erlebnis werden kann und sich keine Untergrüppchen bilden.
Back to nature – back to the wool
„Der Familienbetrieb Spinnradl vor Ort wird uns zeigen, wie der Prozess von Anlieferung der Rohwolle bis zum fertigen Kleidungsstück abläuft. Valentina von Snailyarn aus der Gegend um Rom, bringt uns bei, wie man Wolle nur mit Pflanzen färben kann. Und unsere Kräuterfrau, Rosi Mangger Walder, aus dem Dorf im Tal, wird mit uns ein wenig Naturkosmetik aus regionalen Zutaten herstellen. Dazu gibt es täglich ein kleines Angebot von Entspannungs- und Wellness-Einheiten. Und da wir eine ganze Woche vor Ort sind, gibt es viel Zeit zum Stricken vor dem Kamin oder etwas zu wandern.“
Italien ist nun mein erstes Retreat-Baby und ich bin sehr stolz darauf, dass das Konzept so rund geworden ist. Wir werden in einem 800 Jahre alten, aber renovierten Bauernhaus auf 1400 Metern Höhe wohnen, umgeben von Wiesen, Bergen und unglaublich guter Luft. Kulinarisch verwöhnt werden wir von Janne Vollert, die uns vegan verköstigt und auf alle Allergien und Unverträglichkeiten eingehen wird. Der Familienbetrieb Spinnradl vor Ort wird uns zeigen, wie der Prozess von Anlieferung der Rohwolle bis zum fertigen Kleidungsstück abläuft. Valentina von Snailyarn aus der Gegend um Rom, bringt uns bei, wie man Wolle nur mit Pflanzen färben kann. Und unsere Kräuterfrau, Rosi Mangger Walder, aus dem Dorf im Tal, wird mit uns Naturkosmetik aus regionalen Zutaten herstellen. Dazu gibt es täglich ein kleines Angebot von Entspannungs- und Wellness-Einheiten, angeleitet durch mich. Und da wir eine ganze Woche vor Ort sind, gibt es viel Zeit zum Stricken vor dem Kamin oder um etwas zu wandern.
Um deine Frage also zu beantworten: Besonders macht die Retreats wohl, dass es nicht um Konsum gehen wird, sondern darum, zu verstehen, mit welcher Ressource wir da arbeiten, wenn wir uns etwas stricken. Welchen Weg die Wolle bis zum fertigen gefärbten Garn hinter sich hat und wie man diesen Prozess auch nachhaltig gestalten kann.
Würdest du Stricken als das “neue” Yoga bezeichnen?
Nein, das würde ich nicht. Das klassische Yoga hat für mich nämlich nichts entspannendes. Stricken ist für mich wie Meditation. Ich kann dabei wunderbar runterkommen und meine Gedanken fliessen lassen. Wobei ich auch das gemeinsame Stricken sehr schätze. Es hat aber eine ganz andere Qualität.
Der Strick-Hype, der in den letzten 10 Jahren aufgekommen ist, ist schön zu beobachten. Dadurch ist die Branche sehr gewachsen und hat tolle neue Dinge hervorgebracht. Ich persönlich habe stricken in der 1. Klasse gelernt, es dann zwar bis zu meiner Schwangerschaft nicht mehr ausgeführt, aber dann hat es mich wieder gepackt. Und seither nicht mehr losgelassen. Für mich ist es also nicht neu.
„Dieser Status Quo macht mich momentan glücklicher als alles andere zuvor… „
Wohin soll es mit Conscious Creatives gehen?
Ich habe diesen Sommer gelernt, dass es manchmal gut ist, einfach mit etwas zu beginnen. Auch wenn einem das Ziel noch nicht klar vor Augen liegt. Das entsprach bisher gar nicht meiner Natur. Ich habe mir sonst immer jede Neuorientierung gut überlegt, geplant und organisiert. Diesmal bin ich tatsächlich ins relativ kalte Wasser gesprungen. Und das funktioniert erstaunlich hervorragend. Daher kann ich dir nicht sagen, wo ich irgendwann damit stehen will. Aktuell ist mein Fokus darauf gerichtet, wieder alle meine Talente in meinen Alltag zu bringen. Und mich nicht auf eins zu versteifen. Über die Interviews auf meiner Website Vorbildern, die schon sehr bewusst und kreativ durchs Leben gehen, einen Raum zu geben. Und mit den Retreats Menschen zusammenzubringen, mit denen man gemeinsam voranschreiten mag.
.. und so soll es sein! Vielen Dank liebe Vivianne für diesen Einblick, der mal wieder zeigt, wie wenig wichtig ein stringenter Lebenslauf für das Glück und Wohlbefinden des Einzelnen ist. Ich wünsche mir sehr, dass dein erstes „Strick-Retreat“ ein voller Erfolg wird und noch viele weitere folgen werden. Danke für Deine Zeit.
Photo Credits: Ingo Ballmann & Vivianne Vogé // Erstes Bild: Spinnradl